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27.05.2020
BAG: Annahmeverzugslohn - Anspruch auf Auskunft hinsichtlich anderweitiger Erwerbsbemühungen
Der Arbeitgeber hat gegen den Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, einen Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge. Grundlage des Auskunftsbegehrens ist eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis nach § 242 BGB.
Der Sachverhalt:
Die Beklagte fordert vom Kläger im Zusammenhang mit einer Klage auf Vergütung wegen Annahmeverzugs widerklagend Auskunft über von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter dem Kläger übermittelte Stellenangebote.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit Juni 1996 als Bauhandwerker beschäftigt. Die Beklagte sprach ggü. dem Kläger seit dem Jahr 2011 mehrere Kündigungen aus, ua. kündigte sie 2013 das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich. Diese Kündigung wurde vom Kläger, ebenso wie vorangegangene und weitere, erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien besteht fort. Seit Februar 2013 zahlt die Beklagte keine Vergütung an den Kläger.
Der Kläger erhob Klage auf Zahlung von Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit ab Februar 2013 unter Anrechnung bezogenen Arbeitslosengeldes und Arbeitslosengeldes II. Die Beklagte erhob den Einwand, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitig Verdienst zu erzielen.
Soweit für die Revision relevant, begehrt die Beklagte vom Kläger mit Widerklage Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter in der Zeit Februar 2013 bis November 2015 dem Kläger unterbreiteten Stellenangebote Dritter.
Das ArbG hat der Widerklage stattgeben. Das LAG hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Das BAG hat nun die auch Revision des Klägers zurückgewiesen.
Die Gründe:
Die Widerklage ist begründet. Die Beklagte hat Anspruch auf schriftliche Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter dem Kläger unterbreiteten Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung. Grundlage des Auskunftsbegehrens ist eine Nebenpflicht des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis gemäß § 242 BGB.
Grundsätzlich besteht keine nicht aus besonderen Rechtsgründen abgeleitete Pflicht zur Auskunftserteilung für die Parteien des Rechtsstreits. Von diesem Grundsatz abweichend kann allerdings materiell-rechtlich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Auskunftspflicht bestehen.
In Rechtsprechung und Schrifttum ist anerkannt, dass nach Treu und Glauben Auskunftsansprüche bestehen können, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über den bestehenden Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann, ohne dass durch die Gewährung materiell-rechtlicher Auskunftsansprüche die Darlegungs- und Beweissituation im Prozess unzulässig verändert werden darf.
Der Auskunftsanspruch nach § 242 BGB setzt im Einzelnen voraus: (1) das Vorliegen einer besonderen rechtlichen Beziehung, (2) die dem Grunde nach feststehende oder (im vertraglichen Bereich) zumindest wahrscheinliche Existenz eines Leistungsanspruchs des Auskunftsfordernden gegen den Anspruchsgegner, (3) die entschuldbare Ungewissheit des Auskunftsfordernden über Bestehen und Umfang seiner Rechte sowie (4) die Zumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den Anspruchsgegner. Schließlich dürfen (5) durch die Zuerkennung des Auskunftsanspruchs die allgemeinen Beweisgrundsätze nicht unterlaufen werden. Der so verstandene Auskunftsanspruch dürfte inzwischen als Gewohnheitsrecht anerkannt sein.
Die für den Auskunftsanspruch erforderliche Sonderrechtsbeziehung kann ua. auf einer vertraglichen Beziehung der Beteiligten beruhen oder auf der Abwicklung einer vertraglichen Beziehung.
Die unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben begründete Auskunftspflicht setzt des Weiteren im Regelfall einen dem Grunde nach feststehenden Leistungsanspruch voraus. Gemeint ist damit, dass derjenige, der Auskunft fordert, durch das Verhalten desjenigen, von dem er Auskunft verlangt, bereits in seinem bestehenden Recht so betroffen sein muss, dass nachteilige Folgen für ihn ohne die Auskunftserteilung eintreten können. Soll die begehrte Auskunft einen vertraglichen Anspruch belegen, muss dieser allerdings nicht bereits dem Grunde nach feststehen. Vielmehr genügt der begründete Verdacht einer Vertragspflichtverletzung. Ist ein Vertragspartner zur Begründung von Einwendungen auf die Information durch den anderen angewiesen, genügt eine Wahrscheinlichkeit, dass die Einwendung begründet ist.
Der Auskunftsanspruch erfordert zudem, dass der Auskunftsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare Weise beschaffen kann. Das bedeutet, dass er zunächst alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternehmen muss, die Auskunft auf andere Weise zu erlangen. Für den Berechtigten darf kein anderer, näher liegender und leichterer Weg zur Beseitigung seines Informationsdefizits bestehen. Hiernach liegt ein Verschulden etwa vor, wenn eine zuvor bestehende Informationsmöglichkeit nicht genutzt wurde, obwohl sie sich aufgedrängt hat.
Die Auskunftserteilung muss dem Anspruchsgegner zumutbar sein, er muss die Auskunft unschwer erteilen können. Hiervon ist auszugehen, wenn die mit der Vorbereitung und Erteilung der Auskunft verbundenen Belastungen entweder nicht ins Gewicht fallen oder aber, obwohl sie beträchtlich sind, dem Schuldner in Anbetracht der Darlegungs- und Beweisnot des Gläubigers und der Bedeutung zumutbar sind und er hierdurch nicht unbillig belastet wird. Erforderlich ist insoweit eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls.
Die gesetzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Prozess muss berücksichtigt werden. Die Gewährung materiell-rechtlicher Auskunftsansprüche darf die Darlegungs- und Beweissituation nicht unzulässig verändern.
Nach diesen Grundsätzen ist der Kläger der Beklagten zur Erteilung der begehrten Auskunft verpflichtet:
Zwischen den Parteien besteht ein Arbeitsverhältnis und damit die erforderliche Sonderrechtsbeziehung. Die Beklagte erhebt gegen die vom Kläger geltend gemachten vertraglichen Entgeltansprüche nach unwirksamer Kündigung aus § 615 Satz 1 iVm. § 611 Abs. 1 BGB (ab 1. April 2017 § 611a Abs. 2 BGB) Einwendungen nach § 11 Nr. 2 KSchG, für die sie darlegungs- und beweispflichtig ist. Die Beklagte ist durch die vom Kläger erhobene Zahlungsklage in ihren vertraglichen Rechten betroffen, weil die Anrechnung anderweitig erzielten oder böswillig unterlassenen Verdienstes ipso iure erfolgt. Die Anrechnung hindert bereits die Entstehung des Annahmeverzugsanspruchs und führt nicht nur zu einer Aufrechnungslage. Die Beklagte ist hiervon ausgehend in einer Lage, in der sie die begehrten Auskünfte benötigt, um die ihr materiell-rechtlich durch § 11 Nr. 2 KSchG eröffnete Einwendung des böswilligen Unterlassens anderweitiger zumutbarer Arbeit in den Prozess einführen und so die Zahlungsansprüche des Klägers abwehren zu können.
Die geforderte Wahrscheinlichkeit, dass die Einwendung böswillig unterlassener anderweitiger Arbeit begründet ist, besteht. Der Kläger hatte sich nach der Kündigung bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet. Diese ist nach § 35 Abs. 1 SGB III verpflichtet, Arbeitsvermittlung anzubieten. Entsprechendes gilt für das Jobcenter (vgl. § 6d SGB II), das nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 SGB II Leistungen zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Arbeit erbringen soll. Zu seinen Leistungen gehört nach § 16 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II die Arbeitsvermittlung. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese Behörden ihren gesetzlichen Aufgaben nicht nachgekommen sind und es in Bezug auf den Kläger als Bauhandwerker im Streitzeitraum keine Möglichkeit der Arbeitsvermittlung gab.
Die Beklagte ist in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang der Vermittlungsangebote im Ungewissen und kann sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare rechtmäßige Weise beschaffen.
Der Arbeitgeber kann regelmäßig weder darlegen und beweisen, dass der Arbeitnehmer überhaupt anderweitigen Verdienst hatte, noch kann er Angaben zur Höhe des anderweitigen Erwerbs machen (§ 11 Nr. 1 KSchG). Der Observation eines Arbeitnehmers durch einen Detektiv sind rechtliche Grenzen gesetzt, denn hierbei handelt es sich um Datenverarbeitung, die nur in den Grenzen des § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig ist. Erforderlich ist der konkrete Verdacht einer schweren Pflichtverletzung. Zudem muss die Überwachung einer Überprüfung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes standhalten. Der Detektiveinsatz muss das praktisch letzte Mittel zur Aufklärung darstellen. Diese Voraussetzungen liegen bei einer weitgehend „ins Blaue" durchgeführten Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vor.
Zu dem böswilligen Unterlassen anderer zumutbarer Arbeit (§ 11 Nr. 2 KSchG) kann der Arbeitgeber jedenfalls in Bezug auf Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit und des Jobcenters erst recht keine Angaben machen. Im Hinblick auf das durch § 35 SGB I geschützte Sozialgeheimnis hat er keinen Anspruch gegen die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter auf Mitteilung der dem Arbeitnehmer unterbreiteten Vermittlungsvorschläge. Andere legale Informationsmöglichkeiten stehen ihm nicht zur Verfügung. Eine zufällige Kenntnis von Vermittlungsangeboten ist im Gegensatz zu anderweitigem tatsächlichen Verdienst nahezu ausgeschlossen. Auch aus dem Bekanntwerden der Verhängung einer Sperrzeit nach § 159 SGB III kann der Arbeitgeber nicht zuverlässig auf das Vorliegen von Vermittlungsvorschlägen schließen, weil das zu einer solchen Sperrzeit führende versicherungswidrige Verhalten - wie § 159 Abs. 1 Satz 2 SGB III zeigt - ganz unterschiedliche Gründe haben kann. Ohne Auskunftsanspruch läuft damit die gesetzlich vorgesehene Anrechnungsmöglichkeit jedenfalls in Bezug auf anderweitig erzielten Verdienst und Arbeitsmöglichkeiten bei Dritten faktisch leer.
Hiervon ausgehend war die Beklagte in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang der Vermittlungsangebote im Ungewissen. Sie hatte keine andere rechtmäßige Möglichkeit, sich die zur Begründung ihrer Einwendung nach § 11 Nr. 2 KSchG notwendigen Informationen zu beschaffen.
Der Kläger kann die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben. Er kennt die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter an ihn übermittelten Vermittlungsvorschläge. Der Auskunftserteilung stehen auch keine schützenswerten Interessen des Klägers entgegen, die dafür sprechen könnten, die Übermittlung von Vermittlungsvorschlägen geheim zu halten, um so der von Gesetzes wegen nach § 615 Satz 2 BGB und § 11 Nr. 2 KSchG eintretenden Anrechnung böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes zu entgehen. Der Kläger hat solche Umstände nicht vorgetragen, sie sind auch ansonsten nicht ersichtlich. Insbesondere begründet das die Agentur für Arbeit und das Jobcenter gegenüber dem Arbeitgeber nach § 35 SGB I bindende Sozialgeheimnis im Verhältnis des Arbeitnehmers zum Arbeitgeber kein schützenswertes Interesse des Arbeitnehmers an der Geheimhaltung der ihm übermittelten Vermittlungsvorschläge. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sowohl § 615 Satz 2 BGB als auch § 11 Nr. 2 KSchG eine Anrechnung böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes ausdrücklich vorsehen und somit im Gesetz bereits angelegt ist, dass der Arbeitgeber im Annahmeverzugsprozess von anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten Kenntnis erlangen kann.
Durch die Gewährung eines Auskunftsanspruchs über Vermittlungsvorschläge der staatlichen Arbeitsvermittlungsstellen wird die Darlegungs- und Beweissituation im Prozess nicht unzulässig verändert. Denn allein durch die Information über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters ist nicht zwangsläufig der Einwand der Böswilligkeit des Unterlassens anderweitiger zumutbarer Arbeit begründet. Dieser Einwand ist auf den nach der Auskunft erfolgenden Vortrag des Arbeitgebers noch zu prüfen. Deshalb wird mit dem Auskunftsanspruch auch nicht der Ausnahmecharakter des § 11 Nr. 2 KSchG infrage gestellt. Vielmehr ist es nach Erteilung der Auskunft noch immer am Arbeitgeber, diese Einwendung so substanziell zu begründen, dass sich der Arbeitnehmer im Wege abgestufter Darlegungs- und Beweislast hierzu einlassen kann.
Inhaltlich hat der Kläger Auskunft über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung zu erteilen.
Die Auskunft ist in Textform iSv. § 126b Satz 1 BGB zu erteilen. Sie hat sich auf die Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung zu erstrecken. Nur wenn der Arbeitgeber von diesen Arbeitsbedingungen der Vermittlungsvorschläge Kenntnis hat, ist er in der Lage, Indizien für die Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs vorzutragen. Sodann obliegt es im Wege abgestufter Darlegungs- und Beweislast dem Arbeitnehmer, diesen Indizien entgegenzutreten und darzulegen, weshalb es nicht zu einem Vertragsschluss gekommen ist bzw. ein solcher unzumutbar war.
Der Kläger hat den Auskunftsanspruch nicht erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Von einer Erfüllung kann bereits deshalb nicht ausgegangen werden, weil der Kläger neben dem im Verlauf des Verfahrens zugestandenen Vermittlungsvorschlag in Bezug auf die Z GmbH selbst vorgetragen hat, dass es weitere Vermittlungsvorschläge gegeben, hierzu jedoch keine inhaltlich tragfähige Auskunft erteilt hat.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.05.2020, 5 AZR 387/19
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